Peter Paul Medzech, Minden
»Das Goldene Vlies«
„Im Lande Thessalien wuchsen Phryxos und Helle, die Kinder des Königs Athamas, miteinander auf. Sie hatten ein hartes Leben; denn ihr Vater hatte seine Frau Nephele verstoßen und den Kindern eine Stiefmutter gegeben, unter der sie viel zu leiden hatten. Als die böse Ino gar den Knaben Phryxos opfern wollte, griff Gott Hermes zur Rettung der beiden Kinder ein. Er brachte Nephele einen riesigen geflügelten Widder mit einem Fell von lauterem Gold zum Geschenk. Dieser Widder mit dem goldenen Vlies soll deine Kinder aus der Gewalt ihrer Stiefmutter befreien; sagte Hermes; denn er kann auf den Wolken laufen und wird sie ins Land Kolchis tragen! Nephele folgte dem Rate des Hermes, und bald darauf ritten die Geschwister eng umschlungen auf dem Rücken des Wundertieres durch die Lüfte. Doch als Helle das Meer in furchterregender Tiefe unter sich sah, ließ sie pIötzlich, vom Schwindel gepackt, den Bruder los und stürzte ins Meer, das noch heute der Hellespontos, das Meer der Helle, heißt. Phryxos dagegen erreichte glücklich das Land der Kolcher. Hier opferte er den Widder zum Dank für die Götter und ließ das goldene Vlies in einem heiligen Hain an einem Baum befestigen“.
Später raubten die Argonauten unter Führung Jasons und mit Hilfe der Medea, Tochter des Aietes, das Vlies des Widders Chrysomeles – doch das ist schon wieder eine andere Geschichte: - Das Vlies schuf im Weiteren Begierden und Verwicklungen: Der König von Kolchis lässt Phryxos ermorden. Griechen werden unter der Führung Jasons mit dem Schiff Argo geschickt, um das Goldene Vlies zurückzuholen, wobei sich Jason in Medea verliebt. In Griechenland wird Medea unglücklich. Sie wird in Korinth, am Hof König Kreons, der auch auf das Goldene Vlies sinnt, nicht akzeptiert, fühlt sich selbst fremd dort. Jason interessiert sich mehr für seine Jugendliebe Kreusa, die Tochter Kreons. Schließlich beseitigt Medea ihre Nebenbuhlerin und deren Vater. In ihrer inneren Zerrissenheit ermordet sie auch ihre beiden Kinder. Am Ende bringt Medea einsam und verlassen das Goldene Vlies zum Heiligtum des Apollo nach Delphi.
Was hat der Mythos mit der Plastik zu tun? Auf den ersten Blick eigentlich nichts. Jedoch: Hintergrund des Mythos dürfte sein, dass im goldreichen Kolchis, dem späteren Georgien am Kaukasus, Schaffelle verwendet wurden und werden, um Gold aus den Flüssen zu waschen. - - Gold als Basis von Kultur und politischer Macht. Während der Industrialisierung wurden Eisenwerke und Stahlhütten zu Goldgruben und Basis ökonomischer Macht. - Der Künstler, von dem schon einige Werke am ARS NATURA platziert wurden, hält in jeder dieser Arbeiten ein Prinzip ein: Der Stahl, üblicherweise das begehrte, teure Material, fungiert nur als Träger; das natürliche Material Stein, das häufig nur als Sockel für Kunstwerke verwendet wird, wird hier in eine erhöhte und aktive Position versetzt, ebenso die Wolle der Widder, die von Stahl und Glas geschützt wird. Das Schaffell ist hier nicht Werkzeug, wie z.B. beim Goldwaschen, sondern die Wolle wird zum Gegenstand philosophischer Gedanken - vielleicht über das Verhältnis von Tier und Mensch – oder mythologischer Betrachtung. Indem man fragt, warum der hilfreiche Widder Chrysomeles sogleich von dem von ihm Geretteten undankbar geopfert, sein Leben somit gewaltsam ausgelöscht wurde, wird das Goldene Vlies eigentlich entzaubert. Ein sich des Lebens erfreuender Widder hätte in jedem Jahr wunderbare goldene Wolle liefern können.
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